Mischerei - Tagebuch

Dieses online - Tagebuch ist (ein-)mischbar, wie ein gemütliches Gespräch an der Bar;
das Wichtigste ist der Genuss,
so purely enjoy, db

Dienstag, 4. Mai 2010

Galerie Bremer

Berlin, mein großer Magnet, Wohn- und Schaffenszentrum meines Onkels. Seit 38 Jahren Beobachter, Beeinflusser und Rockender der Berliner Gastronomie. 38 Jahre Förderung der Jazz-, Blues- und Rockmusik im Osten, wie im Westen dieser Weltstadt.
Ein klein wenig muss ich eingestehen, dass der Bruder meines Vaters meinen Lebensweg als Lebemensch und Vollblutgastronom beeinflußt hat.

Seit meinem 16. Lebensjahr besuche ich ihn fast jährlich, seit der Zeit der Barmessen zweimal im Jahr. Es ist ein wahrer Genuss, mit ihm um die Häuser zu ziehen, mir Geschichten aus Gastronomie, Musik und Gesellschaft einzuverleiben und interessante und authentische Menschen kennenzulernen.

Bei jedem Aufenthalt zeigt er mir seinen Schaffenskreis, Kulturkneipen und wilde Orte des Lebens.
Unsere Runde wird meistens spontan von einem Wunschziel meinerseits eingeläutet. Klar, dass ich als Ruhrpottjunge, der sein Wirken und Schaffen der Barkultur widmet, gerne auf Barsuche gehe. Dazu sage ich meinem Onkel, nennen wir ihn Willi, wie ich mir eine Bar vorstelle, welche Richtung ich sehen möchte, und er weiß wohin wir gehen müssen.

Obwohl ich seit vielen Jahren Abonnent von zeitweise drei Fachzeitschriften der Barkultur bin, und mir dutzende tolle Bars in Berlin regelmäßig aber zyklisch präsentiert werden als Place to be, habe ich kein allzugroßes Verlangen diese trendigen und voll designten Bühnen der Selbstdarstellung aufzusuchen.
Daher bin ich in dieser kunterbunten Stadt stets auf der Suche nach dem Ursprung, nach wirklich legendären Bars und Gastronomien.
Gestern war mir nach einer Bar mit lackschwarzer Theke, Wandvertäfelung, rotem Samt, Messing und ´nem schwarzen Flügel, in dessen Tasten handgemachte Jazzmusik gehauen wird.
Willi wusste sofort, was ich sehen wollte und erinnerte sich an die Galerie Bremer, Berlins älteste Bar aus dem Jahre 1946. Er öffnete die Homepage dieses Juwels und zeigte mir promt auf, dass diese "Klubbar" von StarArchitekt Hans Scharoun, dem Designer u. a. der Berliner Philharmonie, eingerichtet wurde.   
In diese Bar, durch die Frau Anja Bremer der Galeriekultur in Berlin "ein Gesicht" gab, kamen die Legenden, wie Billy Wilder, dessen Werk "eins zwei drei" gerade in unserem Hintergrund läuft, Walter Scheel, Steffi Graf, und und und, um sich der edlen und doch ehrlichen Atmosphäre hinzugeben.
Ein weiterer Gast an dieser legendären Bar war Frisurenmogul Udo Walz...
Schick in Schale geschmissen, Haare geschniegelt, Portemonaye eingesteckt machten Willi und ich uns also auf den Weg zur Fasanenstraße 37.
Die Häuserreihe ist nicht, wie üblich mit ausschließlich geraden und andererseits ungeraden Hausnummern versehen, was uns vor dem Haus Nr 37 ins Grübeln brachte, war es wirklich Nr. 37, nicht 38?, denn von der Galerie Bremer war in dem angezielten Haus nichts zu sehen. In diesem Haus war offenbar eine Filiale von Starcoiffeur Udo Walz entstanden. Aber das Schild über dem Eingang schien eher das eines Copyshops zu sein.
Bei einem Blick um die geweißten Ecken des Innenraumes fiel mein Blick auf ein Flaschenbuffet, und scheinbar war diese Frisierstube ohne Spiegel noch um 22.00 Uhr geöffnet, was mich dann doch nach dieser langen Anreise dazu veranlasste, die heiligen Hallen zu betreten. Kein Gast, aber ein freundliches "Guten Abend" aus 25 metern hallte an diversen überteuerten Photoprtraits an den weißen Wänden herüber.
Der Geruch von frisch abgeschliffenen Bodendielen liegt in der Luft, die Wände sind frisch geweißt, eine angenehme Wärme bietet ein Herzlich Willkommen an uns durchgefrorene Pilger der Nacht.
Der lackweiße, folierte Tresen mit den üblichen Messe-Catering Barhockern mit Fußbügel, die überschminkten Damen, die scheinbar zum Hause gehören und der Blick vom mittig platzierten Bildschirm, deren Augen Udo Walz gehören und ein Empfinden von Narzisssmus erregen, wirken dann jedoch eher ausladend und nicht sehr vielversprechend, wenn man an unser eigentliches Ziel zurückdenkt. Gewünscht hatte ich mir schwarzen Lack, roten Samt, Messing, einen gemütlichen Negroni zu Pianomusik und wohligem Gemurmel und Gebrabbel von interessanten Menschen dieser Metropole.
Na gut, ´ne Espressomaschine aus dem Mediendiscounter ist immerhin vorhanden und Willi und ich entscheiden uns zu einem wässrigen 3,- € Espresso, aber ohne ein Glas 6,- € Grappa dazu.
Der Barmann ist freundlich und ostberlinerisch beherrscht. Er reicht uns die PapierCocktailkarte über die Theke und verabschiedet die überschminkten Damen, die geschlossen den Laden verlassen.
Udo Walz schaut mit eisernem Blick vom Bildschirm auf uns herab, während der allgemein ungeliebte Klugscheißerbartender in mir hochkommt. In 99 % meiner Barbesuche kann ich ihn lächend herunterschlucken, aber ich musste einfach fragen, ob ich einige relevante Korrekturen zu den hochbepreisten Artikeln auf die Papierkarte schreiben dürfte, was aus seiner Sicht wünschenswert wäre.
Meine Enttäuschung ließ ich mir aber nicht anmerken, nachdem mir der Barmann auf meine Frage nach einer weiteren legendären "lackschwarz Bar" in der Nähe nur das übliche Trendprogramm der Barmagazine heruntergeleihert wurde.

Nach zehn Minuten Aufenthalt war´s gewesen und Willi und ich gingen die Straße hoch ins zum Bersten volle "Rickenbackers" zu anständiger Live-Mucke und ´nem Warsteiner Pils.

Nun wird es aber Zeit ins Bett zu gehen, aber die Geschichte der Galerie Bremer wird noch während meines Aufenthaltes in Berlin fortgesetzt, des Hohnes wegen... gute Nacht

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